Begegnung mit Günter Grass

guenter_grassWas ich wirklich als Privileg bezeichne, ist die Gelegenheit zu bestimmten Treffen und Gesprächen. Ein solches hatte ich gestern mit dem Schriftsteller Günter Grass in seinem Haus nahe Lübeck. Anlass war die Tatsache, dass Günter Grass vor einiger Zeit eine Stiftung zur Förderung der Roma gegründet hat. Da mein früherer Kollege Ian Marinus Wiersma und ich nach wie vor an diesem Thema arbeiten, haben wir über Vermittlung von Martin Schulz mit Grass Kontakt aufgenommen und binnen kürzester Zeit kam ein Treffen zustande.

In seinen Arbeitsräumen, die in einem ehemaligen Stall untergebracht sind, sprachen wir über die Roma, aber natürlich auch allgemein über das politische Engagement von Schriftstellern. Grass führte sein Engagement auf die Erfahrung im Zweiten Weltkrieg zurück, insbesondere auf die große Enttäuschung nach den Illusionen über die Ziele der Nationalsozialisten. Zu wenige haben damals, als die Nazis groß wurden, die Weimarer Republik verteidigt. Und so wurde die Demokratie ein Opfer des Totalitarismus, kaum war sie entstanden. Aber auch heute noch gibt es immer wieder neu entstehende totalitäre Tendenzen, gegen die man sich wehren muß. Und das sollten auch die Künstler tun.Natürlich war auch die Entwicklung in Ungarn ein Thema, und Grass erklärte sich mit den dortigen Intellektuellen, die gegen das Mediengesetz und andere Maßnahmen protestieren, solidarisch.

Was die Roma betrifft, forderte er die Anerkennung der Eigenart der Roma und sprach diesbezüglich von einer Bereicherung der Gesellschaften Europas. Es sollte in unser aller Interesse liegen, die Assimilation der Roma zu verhindern. Das darf aber nicht heißen, dass wir nicht danach trachten müssen, ihnen die gesellschaftliche Integration zu ermöglichen. Ich gab allerdings zu bedenken, dass es schwer ist, einen Weg zu gehen, der Differenzierung und eigenständige Identität mit Integration und Chancengleichheit verbindet. Das gilt für die Roma, aber auch für alle anderen Minderheiten, vor allem auch die verschiedenen MigrantInnen.

Immer verwies Günter Grass auf den einmaligen Charakter der Roma und Sinti als wahrhaft europäische Minderheit. Im Unterschied zu anderen Minderheiten verlangen sie kein eigenes Territorium und wollen sich von keinem Staat abspalten. Gerade das sollte man anerkennen und honorieren. Aber statt dessen werden sie nach wie vor diskriminiert und als eine Gefahr gesehen. Das Europäische kommt darüber hinaus auch dadurch zum Ausdruck, dass sie sich, auch ohne in einem gemeinsamen Staat zu leben, als eine gemeinsame europäische Volksgruppe verstehen.

Was mich an Günter Grass, den ich vorher nur einmal persönlich kurz betroffen habe,besonders beeindruck hat, ist sein tiefes Engagement für eine Sache, in diesem Fall für die Roma,ohne Messianismus und Ideologie. Er bekennt sich zur Notwendigkeit auch der Künstler, sich ins „Tagesgeschäft“ einzumischen, weiß aber immer auch die Möglichkeiten des Engagements realistisch einzuschätzen und sucht Verbündete für die praktische Umsetzung. Wie sagte er doch einmal: „Jede Utopie hat diesen Zwang zum Glück als Ziel. Das lehne ich ab“. Und im selben Interview, das auch im „Falter“ erschien, meinte er: „Ich wünsche mir ein Chaos mit verbesserter Ausführung“. Nur jemand, der sich wirklich engagiert, kann eine solche realistische Aussage zu machen.